Die Leute vom Hellemyr gilt als das Hauptwerk der norwegischen Schriftstellerin Amalie Skram (1846 – 1905). Der Band 1: Sjur Gabriel, wurde 1887 erstmals veröffentlicht. Dieser Band wurde von Christel Hildebrandt übersetzt
Sjur Gabriel, seine Frau Oline und deren zahlreiche Kinderschar leben auf dem Hof Hellemyr, Felsenmoor, bei Bergen, es ist ein karges Leben. Die Familie hält sich mit Landwirtschaft und etwas Fischerei gerade so über Wasser. Während Sjur Gabriel stur und verbissen weitermacht, flüchtet sich Oline immer wieder in den Alkohol, was in der Regel Gewaltausbrüche Sjur Gabriels nach sich zieht. Als das jüngste Kind der beiden stirbt, zerbricht auch Sjur Gabriel. Der erste Band endet mit den Worten:
In Band 2 überspringt Amalie Skram eine Generation, auch wenn die Kinder von Oline und Sjur Gabriel kurz vorkommen. Der Protagonist ist der Enkel Sievert Jensen, der, 16-jährig, arg darunter leidet, dass seine Großeltern als Trinker verschrieen sind. Besonders seine besoffen durch die Stadt torkelnde Großmutter, der eine Horde sie verspottender Kinder folgt, macht ihm das Leben in Bergen zu Hölle. Er beschließt, gegen den Willen seiner Eltern, zur See zu gehen und heuert als Moses auf der Zwei Freunde an. Die Reise geht nach Kingston und zurück. Band 2 wurde von Nora Pröfrock übersetzt.
Der erste und der zweite Band lassen sich gut unabhängig von einander lesen. „Zwei Freunde“ ist ein Seefahrtsroman, in dem die Autorin sicher eigene Erlebnisse verarbeitet hat. Sie wurde mit 19 mit einem sehr viel älteren Kapitän verheiratet, der sie mit auf Fahrt nahm. Sievert, der Moses, hat es nicht leicht auf der Zwei Freunde. Als jüngster hat er die Dreckarbeit und den Spott der älteren Mannschaftsmitglieder zu ertragen, doch er beißt sich durch und kommt recht gut zurecht. Leider ist Sievert einer der, sowie er Gutes erreicht hat, dieses durch Lügen und kleine Diebstähle wieder zerstört. Auf der Heimfahrt gerät das Schiff in Seenot, die Mannschaft überlebt knapp und Sievert gibt die Seefahrt auf.
In Band 3: S. G. Myre übersetzt von Christel Hildebrandt, wird Sieverts Geschichte weiter erzählt und wir lernen Petra Frimann, die Tochter des versoffenen Gerichtsboten, sowie die feine Gesellschaft von Bergen kennen. Sievert hat eine Anstellung im Kontor des Kaufmanns Munthe und als Faktotum in dessen Privathaus gefunden, er ist fleißig, seine Arbeit wird geschätzt und er hätte dort ein gutes Auskommen, wenn er sich nicht der Tochter des Hauses, Lydia, Munthe genähert hätte. Lydia kommt nach Hamburg ins Internat und Sievert verliert seine Stellung. Kurz bevor er meint, vor die Hunde zu gehen, findet er eine neue Anstellung bei einem Händler und verliert auch diese wieder, durch seine Mauscheleien. Petra Frimann widerum wird Hauswirtschafterin bei Konsul Smith und dessen gehbehinderter Frau. Petra ist schön und der Konsul ein charmanter Schwerenöter. Er verführt Petra, die sich mit der Zeit einbildet, nach dem Tod der Konsulin, von ihm geheiratet zu werden. Natürlich hat er nichts dergleichen im Sinn, sondern ermutigt Petra Sievert Jensen zu heiraten und erklärt sich bereit dem Paar großzügige Unterstützung bei ihrer Etablierung zuteil werden zu lassen. Sievert, der mittlerweile bei Smith arbeit, ist begeistert, denn er ist verliebt in Petra, die ihn nur widerwillig nimmt. Sievert ändert seinen Nachnamen in Myre, um endlich jede Verbindung zu der verschrienen Familie Jensen vom Hellemyr zu kappen.
Das Nachwort zu diesem Teil stammt von Gunnar Staalesn.
Band 4: Die nächste Generation wurde von Gabriele Haefs übersetzt:
Hier liegt der Fokus auf den Kindern der Familie Myre und Smith. Die Ehe von Petra und Sievert ist alles andere als ein Erfolg. Petra ist verbittert und lässt ihren Frust an den Kindern aus. Besonders Sofie und Serverin, die älteren der Geschwister leiden unter dem Geiz und den Gewaltausbrüchen der Mutter. Severin wiederum ist mit Hendrik dem Sohn Konsuls Smith und seiner zweiten Frau Lydia Munthe, eng befreundet und doch in der Schule ein Außenseiter. Der Musterstängel, der es nicht erwarten kann, auf die Universität zu gehen und dem Elend zu Hause zu entfliehen. Sievert hingegen hat es wiedereinmal geschafft, sein Geschäft durch gewagte Spekulationen zu ruinieren und landet schließlich wegen Betrug im Gefängnis, wo er auch stirbt.
Amalie Skram hat mit den Leuten vom Hellemyr ein Gesellschaftsbild Bergens im 19. Jahrhundert geschaffen. Vieles was sie beschreibt, entstammt eigenem Erleben. Amalie Skrams Vater hatte die Familie, nach dem sein Geschäft bankrott war, verlassen und sich nach Amerika abgesetzt. Amalie wurde mit einem älteren ungeliebten Mann verheiratet, um die Familie zu sanieren, wie es auch im vierten Band Sofie Myre geschieht. Neben der Unüberwindbarkeit der Klassenunterschiede ist immer wieder die Situationen der Frauen, ihre relative Rechtlosigkeit und Unfreiheit, Thema im Werk dieser Autorin. Die Leute von Hellemyr spielt im 19. Jahrhundert und liest sich doch so heutig und aktuell. 1200 Seiten und keine davon zuviel. Im Gegenteil, es wäre schön gewesen, hätte die Autorin es noch geschafft, den angedachten 5. Teil zu schreiben.
Ein großes Lob hier auch an die Übersetzerinnen. Im Orignal verwendet die Autorin viel den Arbeiterdialekt, wie er in Bergen des 19. Jahrhundert gesprochen wurde. Dialekt zu übersetzen ist immer schwer, doch hier ist es brilliant gelungen.
Die Leute vom Hellemyr Band 1 - 4 Autorin: Amalie Skram Übersetzerinnen: Christel Hildebrandt, Nora Pröfrock und Gabriele Hafs Nachwort in Band 3: Gunnar Staalesen Verlag: Guggolz Preis: 69,00 €