Data Tutaschchia von Tschabua Amiredschibi

Data Tutaschchia – Der edle Räuber vom Kaukasus, gilt den Georgiern immer noch als Volksheld und das auch über die Landesgrenzen hinaus. Der Autor Tschabua Amiredschi, hat sich die Geschichte seines Helden während seiner Haftstrafe im Arbeitslager ausgedacht, der Roman erschien erstmals 1971 in Georgien, wurde fürs Fernsehen verfilmt und als Comic gibt es ihn auch. Kristiane Lichtenfeld hat ihn ins Deutsche übersetzt.

Die Handlung spielt 1885, Georgien ist Teil des zaristischen Russland und wird erst nach der Oktoberrevolution zu einem unabhängigen Staat werden. Auch wenn es bis da noch ein wenig hin ist, zeichnen sich doch schon erste Unruhen ab. Unser Held nun, ist ein einfacher Mann mit einer gewissen Bildung, er lebt mit seiner Schwester, sie betreiben Landwirtschaft und haben ihr Auskommen, eines Tages jedoch, verletzt Data einen Mann tödlich , der seiner Schwester zu nahe gekommen ist und muss in die Berge fliehen. Hier beginnt seine Zeit als Gesetzloser, er wird zum Räuber, doch zu einem, der gewisse Grundsetze hat. Besonders die, die sich auf Kosten anderer bereichern, die Wucherer, die bestechlichen Beamten und Ausbeuter sind sein Ziel. Das und dass er auch schon mal jemanden hilft, der in Not geraten ist, bringt ihn beim Volks seinen Heldenstatus ein und es ist ihm leicht Verstecke und Verbündete zu finden. Die Gendamarie sieht nur eine Möglichkeit ihm beizukommen, nämlich diesen Ruf zu zerstören.

Amiredschi lässt seinen Helden durch verschiedene Stimmen bildhaft werden. Da ist der Leiter der Gendamarie, Weggefährten, Ausgeraubte und zufällige Begegnungen. Dieser unterschiedlichen Stimmen, zeigen nicht nur die vielen Facetten dieses Räubers Widerwillens, sondern auch einen Querschnitt der georgischen Gesellschaft, sowie der politischen Verhältnisse zur Zeit der Handlung. Wahrlich ein Meisterwerk, dass sich stellenweise wie ein Schelmenroman liest.

Data Tutaschchia - Der edle Räuber vom Kaukasus
Autor: Tschabua Amiredschi
Übersetzerin: Kristiane Lichtenfeld
Verlag: Kröner Verlag
ISBN: 978-3-520-61001-0
Preis: 30,00 €

Schiebung von Sara Paretzky

In Schiebung hat V. I, Warschawski, iWirtschaftsdetektivin in Chicago, gut zu tun. Allerdings weniger mit den Aufträgen, die ihr Lohn und Brot sichern, als mit privaten Verstrickungen. Einmal ist da Felix Herschel, der Großneffe ihrer Mentorin und Freundin Lotti Herschel, der zu einem Mordtatort gerufen wird, um die Leiche zu identifizieren und unter Mordverdacht gerät. Damit Felix Unschuld zu beweisen und mit dem Alltagsgeschäft wäre sie bereits gut ausgelastet, doch wie aus dem nix taucht ihre Nichte Harmony, eigentlich die Nichte ihres Ex-Mannes, auf, Schwester Reno vermisst wird. Die Suche nach Reno führt V. I. in einen Strudel von Gewalt, Abzockerei und Handel mit Artefakten aus Syrien und dem Irak … wobei immer mehr der Verdacht entsteht, dass ihr Ex, seines Zeichens Wirtschaftsanwalt, dabei seine Finger im Spiel hat … nur wie tief, das ist die Frage.

Sara Paretsky V. I. Warschawski ist mittlerweile eine Klassikerin und kaum wegzudenken in der femnistischen Krimilandschaft. Paretskys Themen sind immer politisch aktuell. In Schiebung zum Beispiel wird deutlich wie tief der Homeland Security Act unter der Trump Adminstration den Rassismus und die Angst vor Terror im Alltagsleben der USA verstärkt hat. Überwachungen, Machtmissbrauch und Drangsalierungen sind an der Tagesordnung. Sara Paretsky ist eine der Autorinnen, die diese Themen in eine Geschichte einfließen lassen kann, ohne den Spannungsbogen oder die menschliche Seite zu vernachlässigen. Ihre V. I. Warschawski, ist eine, die sich der sozialen und politischen Probleme ihres Umfeldes sehr wohl bewusst ist und die doch weiter für Gerechtigkeit eintritt und dabei nicht selten Kopf und Kragen riskiert. Vielleicht sollten wir alle ein wenig mehr Warschawski sein.

Schiebung
Autorin: Sara Paretsky
Übersetzerin: Else Laudan
Verlag: Ariadne
ISBN: 978-3-86754-264-7
Preis: 25,00 €

Die andere Mrs. Walker von Mary Paulson-Ellis

Margaret Penny ist 47, als sie mit einem geklauten Mantel, einer Flasche Rum und einem Coronation Penny in der Tasche, vor der Edinburgher Haustür ihrer Mutter steht. Der Rum hilft ihr um über die Schwelle zu kommen, denn Alkohol ist fürs erste so ziemlich das einzige, was die beiden Frauen gemeinsam haben. Margaret ist finanziell am Ende und hat persönliche Gründe London zu verlassen. Sie macht sich auf die Suche nach Arbeit und findet eine Anstellung im Amt für Verlorengegangene. Ihr erster Fall: Mrs. Walker, ca. 85, die abgemagert tot in ihrem Zimmer aufgefunden wurde. Margaret soll nun die Geschichte dieser Frau aufdecken, einen Vornamen und eventuelle Familie finden, damit die Dame beerdigt werden kann. Der Nachlass, mit dem die Suche beginnt, ist eher mager: Ein verschüttetes Glas Whisky, eine gammelige Mandarine, eine Paranuss und ein smaragdgrünes Kleid.

Die andere Mrs. Walker ist der Debütroman von Mary Paulson-Ellis. 2016 ist er erschienen. Der Haupthandlungsstrang ist 2010 – 2011 angelegt, doch die Autorin lässt auch die Vergangenheit der Walkers und Pennys entstehen. In Rückblenden erzählt sie von Kindern die sterben, von Vätern die verschwinden, von Müttern die im Irrenhaus landen, von Abtreibungen, Pädophilie, Prostitution, betrügerischen Anwälten, Kriegstraumata und Alkoholismus. Vom verzweifelten Versuch vor dem all dem die Fassade der Wohlanständigkeit aufrechtzuerhalten und wie Gegenwart und Vergangenheit miteinander verknüpft sind. Trotz der dunklen Themen, liest es sich nicht bedrückend, da es der Geschichte, besser gesagt den Geschichten, nicht an Humor mangelt, wenn einem auch an manchen Stellen, das Lachen im Hals stecken bleibt.

Die andere Mrs. Walker
Autorin: Mary Paulson-Ellis
Übersetzerin: Kathrin Bielfeldt
Verlag: Argument_Ariadne
ISBN:   ‎ 978-3867542609
Preis: 23,00 €

Das Mädchen auf der Himmelsbrücke von Eeva-Liisa Manner

Leena ist neun, fühlt sich alleine und missverstanden. Sie wächst bei ihrer Großmutter auf, die in der Trauer um ihre verlorenen Kinder versinkt. Sicher weiß Leena, dass die Oma sie liebt … irgendwie, aber auch, dass sie dieses träumerische Kind so gar nicht versteht. Die Schule mit ihrer strengen Disziplin ist für das Mädchen die reinste Folter und oft genug geht sie nicht hin oder freut sich über Krankheiten, die ihr eine entsprechende Entschuldigung liefern. Sie streift durch eine Art Traumstadt, die kaum bevölkert ist und fragt sich, ob das Leben nicht nur ein Traum ist, ob sie wirklich wirklich ist. Sie verzweifelt nahezu daran, dass niemand sie ernst genug nimmt, um sich mit ihren Fragen auseinander zusetzen, bis sie eines Tages in eine Kirche kommt und die Fuge von Bach hört. Die Musik wird für sie ein Erlösungserlebnis.

Die Autorin Eeva-Liisa Manner (1921 – 1995) greift in diesem schmalen Büchlein auf die Erlebnisse ihrer karelischen Kindheit zurück, wo sie nach dem Tod der Mutter, bei ihren Großeltern aufwuchs. Es ist eine sehr berührende Geschichte und die Gedankenbilder der Protagonistin so eindringlich und dabei sprachlich so leicht und lyrisch.

Ein besonderes Lob gilt hier dem Übersetzer Maximilian Murmann. Wenn man beim Lesen ist vergisst, dass es sich um eine Übersetzung handelt, wie es bei „Das Mädchen auf der Himmelsbrücke“ der Fall ist, ist das Werk wahrlich gelungen.

Das Mädchen auf der Himmelsbrücke 
Autorin: Eeva-Liisa Manner
Übersetzer aus dem Finnischen: Maximilian Murmann
Nachwort von Antje Rávik Strubel
Verlag: Guggolz
ISBN: 978-3-945370-36-0
Preis: 22,00 €

Kein Fjord so tief wie mein Herz – Liebesgeschichten aus Norwegen – Hersg. Dörte Giebel

Es gibt soviele Arten von Liebe und doch ist sie universell. 14 Geschichten finden sich in dieser Anthologie und jede wirft einen individuellen Blick auf dieses Thema, das uns alle bewegt. Unter anderem erinnert sich in Majken van Bruggens „Fotoalbum“ eine alte Frau an ihre Jugendliebe, die ihr so lebendig und frisch erscheint, während ihre nähere Vergangenheit und Gegenwart in der Demenz verschwinden. Aber auch die Eigenliebe ist ein Thema, zum Beispiel in Ellisiv Lindkvist „Inga Lykke und Hans Jor“ Thema. Es sind vierzehn Geschichten, die jede ihren eigenen Blick auf die Liebe und auf das Leben haben. Das schöne ist, dass es eben auch die dunklen Seiten zeigt, etwa in Anlaug Sanderogs „Für immer Dein“, in der sich eine Frau in ihrer Sehnsucht nach Liebe, einem Vampir ergibt und sich aussaugen lässt … im übertragenen Sinne.

Kurz gesagt: eine absolute Leseempfehlung!

Kein Fjord so tief wie mein Herz
Hersg: Dörte Giebel
Übersetzerinnen: Dörte Giebel, Gabriele Haefs, Sophia Wulfert
Verlag: BoD - Book on Demand, Norderstedt
ISBN: 978-3-7568-4078-6
Preis: 14,00 €

Hörbücher und Stricken – The Dictionary of Lost Words von Pip Williams

Zuerst konnte ich mich nicht wirklich mit Hörbüchern anfreunden, doch dann so nach gefiel es mir, beim Stricken ein Audio laufen zu haben. Besonders gerne höre auf englisch, auch lese ich vieles aus diesem Sprachraum im Original. Zur Zeit ist es „The Dictionary of Lost Words“ von Pip Williams, auf Deutsch: Die Sammlerin der verlorenen Wörter, übersetzt von Christiane Burkhardt und gelesen von Maximiliane Häcke.

Mutterlos und unbändig neugierig verbringt Esme ihre Kindheit im Scriptorium, einem Gartenschuppen in Oxford, in dem ihr Vater und ein Team von Lexikographen das erste Oxford English Dictionary zusammenstellen. Esmes Platz ist unter dem Schreibtisch, ungesehen und ungehört. Heimlich liest sie die Zettel auf, die zu Boden flattern. Und sie erkennt, was die männlichen Gelehrten aussortieren: Wörter und Bedeutungen aus der Erfahrungswelt von Frauen. Als Esme ihre eigene Sammlung beginnt, keimt eine Entschlossenheit in ihr, die sie ihr ganzes Leben lang prägen wird…

Klappentext „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“ von Pip Williams

Heute kam neue Wolle und so kann ich mit dem neuen Hörbuch auch ein neues Paar Socken beginnen. Mal sehen, ob ich die Socken in den 11 Stunden und 11 Minuten, die das Hörbuch dauert, fertig bekomme. Ich glaube einer der Gründe, warum ich mich erst nicht mit Hörbüchern anfreunden konnte war, dass es anfangs nur gekürzte gab und dass die Kürzungen teils sehr zu Lasten der Handlung gingen. Dank digitaler Technik hat sich das verbessert. Ist ja nicht alles schlecht, was es so an Neuigkeiten gibt.

Pleasantville von Attica Locke

Houston Texas 1996, eine Bürgermeisterwahl steht an und der frühere Polizeichef Axel Hathorne hat große Chancen der erste schwarze Bürgermeister zu werden … ausschlaggebend für seinen Wahlsieg sind die Stimmen von Pleasantville, einem Stadteil Houstons mit vorwiegend schwarzer Bevölkerung. Als Alicia Novell verschwindet, unter den gleichen Umständen, wie bereits zwei andere Mädchen einige Jahre zuvor, gerät Hathorne Wahlkampfmanager unter Verdacht. Der Anwalt Jay Porter übernimmt notgedrungen, dessen Verteidigung und entdeckt ein Komplott, das weit über den Bürgermeisterwahlkampf hinausgeht. Gerade ist Bill Clinton zum zweiten Mal ins weiße Haus gezogen und Texas macht sich bereit für den Wahlkampf in vier Jahren, um George W. Bush ins Weiße Haus zu bugsieren.

Es gibt einen Mordfall und eine Ermittlung und doch ist Pleasantville kein Kriminalroman im klassischen Sinne. Es gibt politische Verwicklungen, Bestechungen und Korruption, alles dabei, und doch ist es kein klassischer Politthriller. Auch ist das Buch nicht als typischer Crime Noir zu bezeichnen.

Nachdem ich nun aufgezählt habe, was das Buch alles nicht ist, komme ich zu dem was es ist, nämlich eines der spannensden, interessantesten Bücher die ich in diesem Jahr gelesen habe. Attica Locke versteht es menschliche Charaktere zu erschaffen, die leben. Sie polarisiert nicht. Vor allem hält sie denSpannungsbogen aufrecht, obwohl es viel um juristische Verfahrensweise geht.

Pleasantville
Autorin: Attica Locke
Übersetzerin: Andrea Stumpf
Polar Verlag
ISBN:978-3-948392-56-7
Preis: 26,00 €

Matrialermüdung von Dietrich Brüggemann

Die Welt wird brüchig in Dietrich Brüggemanns Materialermüdung. Als Jakob und Maja von Jakobs Vater aus dessen Garten verbannt werden, merken sie noch nichts davon. Sie beschließen kurzer Hand ihren besten Freund Moses anzurufen und einen Kurzurlaub in Ueckermünde anzulegen. Dort wird ein Baum vom Blitz getroffen und der schleichende Prozess der Auflösung setzt. Alles ist betroffen, Fahrräder, Autos, Beziehungen, Knochen, bis die Welt schließlich in einem weißen Loch in Flammen vergeht. Doch erst einmal sie die drei, der hippen Kunstszene zugehörigen Freunde, damit beschäftigt, um sich selbst zu kreisen. Es werden Befindlichkeiten gepflegt, Moses erfährt Rufmord durch das Internet. Maya fragt sich, ob ihre Beziehung zu Jakob überhaupt das ist was sie will. Das Theaterkollektiv mit dem sie arbeitet, fragt sich mittlerweile, ob die Beziehung zu Maya überhaupt noch trägt. Das Internet und die schnelle Kommunikation, sowie akute Anfälle von übertriebener politischer Korrektheit der Woken Generation tun das ihre. Dietrich Brüggemann beschreibt keine Gesellschaft, die wirklich in der Lage ist mit einer wirklich großen Krise fertig zu werden.

Materialermüdung ist eines der Bücher, die unter die Haut gehen, bei denen man oft lacht und bei denem einen oft das Lachen im Halse stecken bleibt, weil es trotz Überzeichnung sehr sehr nah an der Realität ist.

Unbedingt lesen!

Der Westendverlag hat den Autor Mathias Bröckers ein Gespräch mit Dietrich Brüggemann zu Materialermüdung führen lassen. Hier der Link.

Materialermüdung
Autor: Dietrich Brüggemann
Westendverlag
9-783949-671036
Preis: 25,00 €

Die göttlichen Kindchen von Tatjana Gromača

https://www.genialokal.de/Produkt/Tatjana-Gromaca/Die-goettlichen-Kindchen_lid_49266027.html?storeID=zapata

Tatjana Gromača nimmt ihre Leser:innen mit in die seditierte Stadt und zeigt anhand ihrer Familiengeschichte, welche Auswirkungen der Jugoslawienkrieg auf die Menschen hatte und hat. Denn diese Traumata sind nie vorbei. Sie schreibt nicht nur aus der Sicht der Tochter, sondern begibt sich in verschiedene Rollen. Mal ist sie Protokollantin, mal Gerichtsschreiberin, mal Dolmetscherin, die ihre Mutter in die Abseitsposition begleitet, als auf einmal Herkunft wieder zählte, diese zur Aussätzigen für ihre Nachbarn wurde – und der Vater mit ihr, da er nicht einsehen wollte – , dass es ab sofort galt alle die östlicher geboren waren zu hassen. Die Mutter entwickelt eine Art Schlafkrankheit und landet immer einmal wieder in der Psychiatrie. Nicht, wie Gromača schreibt, weil sie nicht normal ist, sondern weil sie zu normal ist, um den Wahnsinn der Welt zu ertragen.

Durch den Rollenwechsel der Autorin zu Dolmetscherin, Gerichtsschreiberin und Protokollantin hat ihre Geschichte eine interessante Form abgenommen, die mal sehr nahe und persönlich ist, um sich dann wieder in eine distanzierte allgemeine Perspektive zu begeben. So entsteht aus den Fragementen ein eindrückliches Bild, einer durch Krieg traumatisierten, patriachalisch ausgerichteten Gesellschaft.

Fazit: Unbedingte Leseempfehlung!

Die göttlichen Kindchen
Tatjana Gromača
Übersetzer: Will Firth
ISBN: 9 783948 065249
Preis: 20,00 €
Edition Stroux